"Alchemy"

Wer schon einmal in einem selbstgeflochtenen Strohsessel die Sonne hat untergehen sehen, weiss, wie sich Nadja Stollers neues Album “Alchemy” anhört. Der eine oder andere Strohhalm sticht etwas im Rücken, und trotzdem will man sich nirgendwo anders mehr hinsetzen. “Alchemy” wird alle verzaubern, die Gebrauchsspuren auf Möbeln stehen lassen. Und für die anderen gibt's Ikea.

 Wenn man Nadja Stollers Musik hört, kommt es einem vor, als würde man in jemandes Kindheitserinnerungen eintauchen. “Alchemy” ist ein Zimmer randvoll mit Lieblingskrimskrams, und hinter jedem Figürchen lauert eine Geschichte.

 

In diesem Schlaraffenland voller kleiner Wunder und unentdeckter Geheimnisse trägt alles Spuren von Erlebtem. Dem Stoffesel fehlt ein Auge, dem Bilderbuch ein paar Seiten, und genau deshalb wird man sich nie von ihnen trennen können. Nadja Stoller hat von allem, was sie während ihres Atelierstipendiums in Paris gesammelt hat, einen Setzkasten voll musikalischer Verspieltheit mit nach Hause genommen.

 

Tatsächlich sind unter den Instrumenten einige zu finden, die man normalerweise Kindern in die Finger drückt, um ihr Interesse an der Musik zu wecken: Glockenspiel, Melodika, Blockflöte oder das Umhängekeyboard Key-tar. Die Auswahl der Instrumente hat aber einen anderen, einfachen Grund: sie passen in einen Koffer.

 

Nadja Stoller hat während ihres achtmonatigen Aufenthaltes in Paris überall Musik gemacht, wo sich Menschen begegnen – in der Metro, auf der Strasse oder in fremden Wohnzimmern. Und liess verständlicherweise alles über fünf Kilo zuhause stehen. Not macht erfinderisch und Nadja Stoller hat sich kurzerhand ein paar strassentaugliche Instrumente selber gebastelt. Der gehäkelte Shaker und die Getränkedose gibt es nirgendwo anders zu hören als auf “Alchemy”. Und selbst die Klassiker wie Banjo oder Akkordeon klingen, als hätte sie gerade jemand von einer dicken Staubschicht befreit oder nach Jahren auf dem Dachboden wieder gefunden.

 

Doch wie fängt man die Magie jenes flüchtigen Moments auf der Place des Vosges oder an der Rue Mouffetard auf CD ein? Ganz einfach, man holt sich die Strasse ins Studio. Nadja Stoller hat sich dort genau so eingerichtet, wie sie es auf den Pflastersteinen in Paris tat und die Stücke live eingespielt - als würde das Publikum durchs Studio schlendern. Und genau so klingt “Alchemy” auch. Da klickt das Loopgerät, rascheln die Kleider, pfeift der Atem und hin und wieder huscht ein Tonfetzen aus Paris vorbei, wie etwa die Rolltreppe von St. Paul in “Circle Blues” oder die abfahrende Metro in “My little boat”. Nichts ist überladen, nichts wird versteckt, an “Alchemy” ist alles echt.

 

Die kurzen Chansons, selten mehr als drei Minuten, sind Kunstwerke der Reduktion. Die meisten verlassen sich auf einen einfachen durchgehenden Rhythmus, eine Handvoll Akkorde und zwei, drei geloopte Instrumente. Auf diesen kargen Sockel stellt Nadja Stoller ihr warmes und leichtfüssiges Stimmorgan, das die Songminiaturen in schillernde Kleinode verwandelt.

 

Darunter verstecken sich intime Momentaufnahmen, so naiv und ergreifend wie die erste Liebe (“I Love”, “Ma petite chanson”, “8”). Frostige 80-er Jahre Rhythmen, über denen die eindringliche Stimme wie ein Schwelbrand züngelt (“My Little Boat”, “Bells”). Charmante Kurzgeschichten, die bisweilen ganz ohne Harmonieinstrumente auskommen (“Come Back”), ein stampfender Blues mit verschrobenem Blockflötensolo (“Circle Blues”), sogar ein Emily-Bronte-Zitat hat seinen Weg auf die CD gefunden (“Heathcliff”). Und Oli Kuster (ex Züri West) verpasst als einziger Gast dem unschuldigen „Cockleshell“ mit seinem Tastenspiel einen bedrohlichen Anstrich.

 

Nadja Stollers verschlungene Wege finden schliesslich im letzten Stück “Limp” zu ihrem Ziel, in dem sie uns mitnimmt auf einen letzten Spaziergang durch die Promenade plantée in Paris. Ganz nah ist man da an ihrer Seite, lässt sich an der Hand nehmen, und bleibt doch irgendwann stehen, voller Staunen über dieses musikalische Miniuniversum.

» http://nadjastoller.ch/

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